„Kultur, so wie wir sie verstehen, kann nur in einer demokratischen Gesellschaft entstehen“
Interview mit Kai Lautenschläger von Gefilte Fest e.V.
Lieber Kai Lautenschläger, du bist einer der Vorstände des Gefilte Fest e.V.: Stell euch doch bitte kurz vor: Wer seid ihr? Was sind die aktuellen Schwerpunkte eurer Tätigkeit?
Wir sind der Gefilte Fest Dresden e.V., ein kleiner Verein mit derzeit 13 Mitgliedern. Als Verein sind wir Gründungsmitglied im Landesverband Jüdischer Gemeinden und Einrichtungen in Sachsen e.V. (LVJG) und Mitglied im BgA-Ostsachen des RAA Sachsen e.V.. Wir sind in der Steuerungsgruppe Alter Leipziger Bahnhof der Landeshauptstadt Dresden vertreten und Mitglied in der Jury für die Auslobung eines Betreiberkonzept für eine Jüdische Begegnungsstätte am Alten Leipziger Bahnhof. Das Kulturamt fragt uns für viele Entwicklungsprojekte als Akteur*in für Diskussionen und Beratungen an. Wir erhalten keine institutionelle Förderung und auch keine anderen dauerhaften Zuwendungen außer private Spenden. Unser Schwerpunkt ist das Vermitteln jüdischer Kultur und die diesbezügliche Völkerverständigung über den Weg gemeinsamer sinnlicher Erfahrungen beim Kochen und Essen, da die Kochtradition sowie rituelle Speisen im Judentum eine exponierte Stellung einnehmen.
Wir leben in einer Zeit multipler Krisen und politischer Polarisierung: Wie blickt ihr auf die aktuelle politische Lage? Welche Auswirkungen spürt ihr konkret in eurem Tätigkeitsfeld?
Während wir die Corona-Pandemie trotz eines leichten Mitgliederverlusts überraschend gut überstanden haben, ist die Doppelbelastung durch den Angriff der Hamas auf Israel und den sich daraus ergebenden Krieg in Gaza für uns eine echte Herausforderung. Wir hatten viel mit Ängsten von Mitgliedern, Sponsoren, Kooperationspartner*innen und Besucher*innen unserer Veranstaltungen zu kämpfen. Außerdem hat diese Verunsicherung die Normalisierung nach Corona deutlich erschwert. Die Inflation haben wir deutlich gespürt, waren aber finanziell so sicher aufgestellt, dass wir diese Herausforderung gut meistern konnten.
Obwohl in Diskussionen unter den Mitgliedern Aspekte wie die Sicherheit bei Veranstaltungen, nahende politische Veränderungen und die potentielle Angst von Besucher*innen deutlich häufiger auftreten, haben wir im direkten Kontakt mit unseren Gästen kaum einen Wandel festgestellt. Und wenn, dann nur im Guten: Diejenigen, die uns zugeneigt sind, haben ihre Unterstützung viel deutlicher zum Ausdruck gebracht.
2024 stehen drei richtungsentscheidende Wahlen in Sachsen bevor (Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen). Mit welchen Gefühlen blickt ihr auf die möglichen Stimmgewinne für rechtsextreme Parteien? Was würde ein wachsender Einfluss von rechtsextremen Kräften für euch und eure Organisation bedeuten?
Wir sehen den Wahlen einerseits mit Zuversicht entgegen, da die Mehrheit der Sächs*innen sich demokratischen Parteien zuwendet. Andererseits haben wir große Sorge bezüglich der Kultur- und Sozialpolitik. Wir erwarten eine Erschwernis, unsere Vereinsziele der Förderung der internationalen Zusammenarbeit und der Völkerverständigung zu erreichen. Diese Sorgen werden zusätzlich verstärkt, weil durch die internationalen Krisen derzeit ohnehin eine Mittelknappheit insbesondere Seitens der Kommune zu erwarten steht (und ja, teilweise auch schon katastrophale Auswirkungen zeigt). Als problematisch sehen wir perspektivisch auch das Bild von Kultur, was durch rechte und rechtsextreme Parteien angepeilt wird. Der Fokus auf Hoch-, Lederhosen- und Bergmannschorkultur wird immer weniger Raum für partizipative und gesellschaftskritische Konzepte lassen und Schritt für Schritt zu einer kulturellen Gleichschaltung führen.
Mittelfristig sehen wir auch schwere Herausforderungen für die Unabhängigkeit der Justiz auf uns zukommen. Zum einen wird die Platzierung rechtsextremer Personen im System anhaltende Wirkung zeigen und zum anderen wird sie nur schwer rückgängig zu machen sein.
Die Sicherheitsbehörden erleben wir im direkten Kontakt sehr unterschiedlich. Die Beamt*innen vor Ort sind meist sehr hilfsbereit und reagieren adäquat. Fragezeichen löst hingegen so mancher Kontakt mit der Verwaltungs- und Leitungsebene aus. Während manchmal ein unverständlich hoher Aufwand zu unserem Schutz betrieben wird, werden mir ein anderes Mal einfach links liegen gelassen. Woran das genau liegt, können wir nicht einschätzen.
Unsere Mitarbeit in Gremien sehen wir vorerst nicht in Gefahr, allerdings wird die inhaltliche Arbeit vermutlich erheblich schwieriger.
Zum Glück sind die Wahlen noch nicht verloren: Welche Erfolge eurer Arbeit würdet ihr gerne verstetigen, statt euch zu sorgen?
Wir würden sehr gerne die Selbstverständlichkeit der Veranstaltungen und der Kooperationen wieder erreichen, die vor Corona bestanden hat. Wir sind derzeit in der günstigen Lage, nur durch die Menge an Engagement von Mitgliedern und Helfenden in unseren Projekten beschränkt zu sein. Wir möchten weitere Mitglieder gewinnen und Menschen zum Engagement für unsere Sache bewegen. Dafür wollen wir unsere erprobten Formate einsetzen und – wie bisher – auch die Veränderung und Neuerfindung von Formaten und Kooperationen weiter betreiben. Wir sind auch zuversichtlich, dass die derzeit etwas aufgebrachte Stimmung innerhalb der jüdischen Community sich in den kommenden Jahren beruhigen und normalisieren wird, sodass auch hier eine einfachere Zusammenarbeit möglich wird. Derzeit entwickelt sich eine gute Zusammenarbeit mit der Jüdischen Kultusgemeinde. In den vergangenen Jahren haben wir außerdem mit mehreren Restaurants, die vorher nie mit dem Thema Judentum und jüdische Küche zu tun hatten, sehr fruchtbare Kooperationen erlebt, die oft auch nicht ganz leicht waren. Die Rückmeldungen zu unseren Veranstaltungen sind sehr ermutigend und zeigen, dass das Konzept der Begegnung auf einer sinnlichen Ebene sehr gut aufgeht.
Alles gesagte hat enge Beziehungen zu einer großen gesellschaftlichen Vielfalt und deren Entfaltung. Um diese Vielfalt (und damit die beschriebenen Möglichkeiten und Wünsche) zu erhalten oder auszuweiten ist jede Wähler*innenstimme wichtig. Erstens, weil jede Stimme eine einmalige Äußerung ist und dadurch vorhandene Vielfalt in der Gesellschaft politisch macht. Außerdem ist es auch wichtig, Parteien zu wählen, die den Wert von Vielfalt und Unterschiedlichkeit erkennen, fördern und als Chance verstehen. Eine Kultur, so wie wir sie verstehen, kann nur in einer zutiefst demokratischen Gesellschaft entstehen und erhalten werden. Ganz persönlich bemerken wir, wie die die Beschäftigung mit positiven Aussagen (Was soll geschehen? Wo wollen wir hin? Was ist wichtig für die Gesellschaft?) eine viel gesündere Produktivität in uns erzeugt, als das Ablehnen von vermeintlich verfehlten Wegen.
Zwei letzte Fragen: Welche Wünsche habt ihr an (Nicht-) Wähler:innen in Sachsen? Was erwartet ihr von den demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode?
Von den Nichtwähler*innen wünschen wir uns, dass sie sich (nochmal) mit dem Thema Gemeinschaft und Solidarität beschäftigen sowie die nicht belehrenden Hinweise auf die zentrale Bedeutung von Wahlen und jeder einzigen abgegebenen Stimme (nochmal) wohlwollend prüfen. Wir wollen Sie im Boot haben – sie SIND willkommen.
Von den Parteien wünschen wir uns auf allen Ebenen mehr Visionen und eine transparentere Kommunikation von Plänen. Kulturpolitik und auch Sozialpolitik erscheinen uns oft wie ein andauerndes Reparieren undichter Stellen – es wird kaum deutlich, welche Entwicklung beabsichtigt ist. Wir erwarten Ehrlichkeit.
Die Interviews geben die Meinung der Befragten wieder und spiegeln nicht notwendigerweise die Position der Bündnisse wider.
Eine gemeinsame Initiative mit dem Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden & Ostsachsen