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„Wir möchten uns gerne nicht verstecken müssen“ 

Interview mit Uwe Kuhnt von Chabad Lubawitsch Sachsen

Lieber Uwe Kuhnt, du bist der Assistent von Rabbiner Havlin bei Chabad Lubawitsch Sachsen in Dresden. Stell euch doch bitte kurz vor: Wer seid ihr? Was sind die aktuellen Schwerpunkte eurer Tätigkeit? 

Chabad Lubawitsch Sachsen ist ein eingetragener Verein und eine orthodoxe jüdische Gemeinde. Wir haben aktuell ca. 350 Mitglieder und sind über einen Kooperationsvertrag mit dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden assoziiert. Darüber hinaus bilden wir einen Verband mit 20 weiteren Chabad-Gemeinden in Deutschland. International stehen wir in Verbindung mit Gemeinden in über 100 Ländern.

Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Organisation unseres Gemeindelebens. Wir begehen gemeinsam den Schabbat sowie jüdische Feiertage und bieten einen Seniorentreff und Sozialberatung. Außerdem führen wir eine Tora Schule für Erwachsene und Kinder und geben Hebräisch Unterricht. Des Weiteren haben wir zwei Gruppen für jüdische Kinder mit Tagesmüttern.

Wir leben in einer Zeit multipler Krisen und politischer Polarisierung: Wie blickt ihr auf die aktuelle politische Lage? Welche Auswirkungen spürt ihr konkret in eurem Tätigkeitsfeld?

Durch die Corona-Pandemie und auch durch den 7. Oktober sind unsere Mitglieder enger zusammengerückt. Das Gemeindeleben ist sehr aktiv und wir helfen einander. Dennoch gibt es viele Ängste und Sorgen, insbesondere unter den Israelis unter uns. Wir sorgen uns vor dem wachsenden Antisemitismus, auch gegen Israel.

Deutschland sehen wir vor dem Scheideweg hin zu einem großen Rechtsruck – wir befürchten aber auch einen starken Zuwachs des Antisemitismus aus Richtung des fanatischen Islams und der deutschen Linken. Wird das so weiter gehen, sehe ich, dass sich viele Juden, insbesondere die jüngeren, mit der Auswanderung nach Israel beschäftigen werden. Und das wohl auch in die Tat umsetzen.

2024 stehen drei richtungsentscheidende Wahlen in Sachsen bevor (Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen). Mit welchen Gefühlen blickt ihr auf die möglichen Stimmgewinne für rechtsextreme Parteien? Was würde ein wachsender Einfluss von rechtsextremen Kräften für euch und eure Organisation bedeuten? 

Schon jetzt haben die meisten jüdischen Menschen Angst, sich offen als Juden zu zeigen. Sie tragen keine Kippa oder andere Symbole, sprechen möglichst kein Hebräisch in der Öffentlichkeit. All das beschränkt sich auf die Gemeinde, sie ist unser „Safe-House“. Wird sich die öffentliche Meinung im Zuge der Wahlen weiter radikalisieren, denke ich, dass sich diese Tendenzen weiter verstärken.

Gesamtgesellschaftlich sehen wir bei der Justiz häufig zu wenige Sanktionen gegen Judenfeindlichkeit. Und auch in den Medien wird der Ton unsachlicher bzw. entspricht er häufig nicht den Tatsachen. Wir beobachten z.B. mit Sorge, dass O-Töne der Hamas als wahr angesetzt werden.

Solange die Zugewinne für rechtsextreme Parteien beschränkt bleiben und sie keinen Einfluss auf die Legislative bekommen, hoffen wir, dass sich die Dinge nicht dramatisch verschlimmern werden. Das gilt besonders mit Blick auf die Justiz und die Sicherheitsbehörden. Ihre Ausbildung und ihre Verpflichtung auf Recht und Gesetz sollten zunächst vor einer tiefergehenden Indoktrinierung schützen.

Zum Glück sind die Wahlen noch nicht verloren: Welche Erfolge eurer Arbeit würdet ihr gerne verstetigen, statt euch zu sorgen?

Einer unserer größten Erfolge ist sicherlich, dass wir ab 2025 über den „Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden“ finanziert werden.  In den letzten 20 Jahren haben wir es aber auch aus eigener Kraft geschafft, die Mittel für unser Gemeinde-Leben zu erwirtschaften – im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden. Wir hoffen, dass nun Kapazitäten bei uns freigesetzt werden, die wir z.B. für eine intensivere Mitarbeit in politischen Gremien nutzen möchten.

Daneben ist uns vor allem wichtig, die Integration der ukrainischen Juden in unsere Gemeinde fortzusetzen. Eine der dringendsten Aufgaben ist es hierbei, sie in Arbeit zu bringen.

Zwei letzte Fragen: Welche Wünsche habt ihr an (Nicht-) Wähler:innen in Sachsen? Was erwartet ihr von den demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode?

Das ist einfach: Geht alle wählen, macht von euren demokratischen Rechten gebrauch und schaltet euer Hirn ein!

Von den demokratischen Parteien wünschen wir uns weiterhin eine starke moralische Unterstützung des jüdischen Lebens in Sachsen und in Dresden sowie ein Werben für Akzeptanz in der breiten Bevölkerung. Wir möchten uns gerne, wie auch andere Minderheiten, nicht verstecken müssen – aber dieser Wunsch ist und bleibt eine Illusion in Deutschland.

 

 


Die Interviews geben die Meinung der Befragten wieder und spiegeln nicht notwendigerweise die Position der Bündnisse wider.

Eine gemeinsame Initiative mit dem Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen | ein Projekt des RAA Sachsen e.V.