In “Nie mehr leise – Die neue migrantische Mittelschicht” entfaltet die Autorin Betiel Berhe eine beeindruckende Erzählung über die Verbindung von Rassismus und Klassismus anhand ihrer eigenen Lebensgeschichte. Als Ökonomin und Mitbegründerin des “Social Justice Institut München” teilt sie ihre “Aufstiegsgeschichte” aus einer migrantischen, Schwarzen Arbeiter*innenfamilie hinein in die akademische Mittelschicht.

Der erste Teil des Buches beleuchtet Berhes Kindheits- und Jugenderlebnisse und die sie als nachhaltig prägend empfand. Sie demaskiert bildungsbürgerliche Gleichheitsversprechen als Absicherungstrategie finanziell privilegierter Menschen. Arbeiter*innenkinder werden oftmals mit Hindernissen konfrontiert, die ihren Bildungsaufstieg erschweren. Das können unterschiedliche soziale Codes und eine habituelle Unsicherheit in weißen bildungsbürgerlichen Räumen sein, aber auch schlichtweg die finanzielle Unmöglichkeit Nachhilfe in Anspruch zu nehmen. Dies kann bei betroffenen Menschen zu schweren Identitätskrisen führen, wenn sie zwischen den Werten ihrer Herkunftsfamilie und der weiß-dominierten Mittelschicht hin- und hergerissen sind.

Darauf aufbauend beschreibt die Autorin ihre Erfahrungen als Erwachsene in einem mehrheitlich weißen Mittelschicht-Milieu. Sie verdeutlicht, wie Rassismus und Ungleichheiten sich dort immer wieder reproduzieren.

Berhe führt dazu ein anschauliches Beispiel an, welches schildert, wie Rassismus und Ungleichheiten bereits in der frühkindlichen Bildungsumgebung erkennbar werden:

Aufgrund eines unterstellten “Migrationshintergrundes” erlebte sie, wie ihr eigenes Kind ungefragt für einen Sprachförderkurs angemeldet wurde.
Im Gegensatz dazu werben einige private Kindergärten damit, ausschließlich in den kolonialen “Modesprachen” Englisch oder Französisch mit den Kindern zu kommunizieren. Daraus lässt sich ablesen, wie stereotype Vorstellungen über Sprache und Bildung zu Benachteiligungen von mehrsprachigen Migrant*innenkindern führen können.

Im dritten Teil des Buches setzt sie sich mit dem Gefühl der Wut und Ohnmacht auseinander, das von Rassismus betroffene Menschen empfinden. Berhe zeigt jedoch auch auf, das kollektiv empfundende Wut eine wichtige Ressource für politische Veränderungen sein kann, wenn sie positiv und konstruktiv kanalisiert wird.

Abschließend ruft die Autorin dazu auf, Ungerechtigkeiten nicht länger hinzunehmen. Sie plädiert für gemeinsame Solidarität zwischen Menschen, die verschiedene Formen von Diskriminierung erfahren haben. Gesellschaftliche Veränderungen für eine gerechtere Welt müssen aktiv und laut eingefordert werden.

Nie mehr leise – Die neue migrantische Mittelschicht” empowert, inspiriert und rüttelt auf. Anhand der eigenen eindringlichen Biografie ermutigt Betiel Berhe, für Gerechtigkeit einzustehen und für eine inklusivere Gesellschaft einzutreten. Nicht zuletzt durch ihre persönlichen Reflexionen über Rassismus und Klassismus wird ihr Aufruf zur Veränderung und zur Schaffung einer gerechteren Welt, umso mitreißender.

In lebendiger, anschaulicher Sprache zeigt die Autorin die Kraft von Solidarität auf und eröffnet so eine Perspektive für eine Gesellschaft, in der Vielfalt geschätzt wird.

 

Ein beeindruckendes Buch!

 

Betiel Berhe: “Nie mehr leise – Die neue migrantische Mittelschicht” | Aufbau Verlag | 204 Seiten | 22€

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Foto: Aufbau Verlag